
Sich verlieren und wieder finden
Vom Pflichtprogramm zur Berufung

Ich habe mit 18 eine Massnahme durch die Jugendanwaltschaft angeordnet bekommen und habe diese im Gfellergut durchlaufen. So habe ich meine Lehre zum Schreiner gemacht und auch dort gewohnt.
Genau das. Das Sozialpädagogische Zentrum Gfellergut bietet Praktikums- und Ausbildungsplätze für Jugendliche an, die eine Massnahme auferlegt bekommen haben. Und für männliche Jugendliche gibt es zusätzlich ein Wohnangebot.
Ja, ich erinnere mich noch gut daran. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich schon viele Institutionen durchlaufen. Es war wieder einmal die «wirklich letzte Chance» und eine sehr intensive Zeit für mich.
Mein Vater hat mich ins Gfellergut gefahren und als wir ankamen, war mein erster Eindruck sehr positiv. Damals wurde die Institution als «der Rolls-Royce der Jugendheime» bezeichnet. Ich war mir andere Umgebungen gewöhnt und das Gfellergut war im Gegensatz dazu sehr offen und locker mit viel Land drum herum. Die ruhige Atmosphäre hat mir sofort gut gefallen.

Gibt es einen Gegenstand, der deine Zeit im Gfellergut symbolisch vertritt?
Ja, der Stechbeitel, den ich in meiner Schreinerlehre oft gebraucht habe. Damit sind mir so einige Missgeschicke passiert. Aber ich habe auch viele schöne Werkstücke mit ihm gemacht. Zum Beispiel fertigte ich ein Bett aus Nussbaumholz zu meinem Lehrabschluss an, das mir mein Gotti finanziert hat.
Es ist etwas absurd. Es fühlt sich noch so nah an und doch ist es schon 15 Jahre her. Das Gfellergut war der erste Ort, an dem ich wirklich ankommen und mich auf das Angebot einlassen konnte. Es war der Anfang meines heutigen Lebens. Deshalb ist es schön, daran zurückzudenken.
Es gab sicherlich mehrere Highlights. Meine Top 3 in chronologischer Reihenfolge sind:
Die Zusage zur Ausbildung als Schreiner, dann die Geburt meiner Tochter und schliesslich der Lehrabschluss mit meinem erfolgreichen Austritt aus der Institution.
Als ich ins Gefellergut kam, war die Mutter meiner Tochter bereits im achten Monat schwanger. Die Verantwortlichen der Institution wussten darüber Bescheid und haben mich von Anfang an unterstützt. Emotional durch viel Austausch, aber auch sachlich. Die Mutter meiner Tochter durfte oft vorbeikommen, auch wenn eigentlich keine Besuchszeiten waren. Und als meine Tochter dann auf der Welt war, durften sie sogar bei mir übernachten.
Ihre Anteilnahme und ihr aufrichtiger Einsatz. Sie waren sehr klar in ihrer Haltung und haben ihre Grenzen offen kommuniziert. Das empfand ich als sehr aufrichtig.

«Wir alle sind auf Hilfe angewiesen und wenn ich mich zurückerinnere, hat es viel Mut gebraucht, meine Fassade fallen zu lassen.»
Ich würde nicht sagen, dass ich diesen Weg bewusst oder mit einem konkreten Plan eingeschlagen habe.
Ich habe mein Leben gelebt, erlebt und gearbeitet. Ich habe mich gesucht, mich verloren und mich irgendwann angefangen, zu finden. Mein Lebensweg hat mich dann irgendwann zur Sozialpädagogik geführt und es hat sich für mich richtig angefühlt.
Grundsätzlich ist meine Vergangenheit hilfreich, was das Nachvollziehen verschiedener Situationen betrifft und auch das Verständnis für Anliegen, auf die ich in meinem Beruf treffe. Ob ich meine eigene Geschichte dann teile oder nicht mache ich abhängig davon, ob es einen Mehrwert bringt. Der würde für mich darin bestehen, Mut oder Hoffnung zu geben und auch ein Beispiel aufzuzeigen, das sich zum Positiven entwickelt hat.
Ich würde ihnen Mut wünschen. Mut, um das zu finden, was einen glücklich macht. Das einem Lust macht, für etwas einzustehen, einen Weg zu gehen und Herausforderungen zu bewältigen. Aber auch Mut, immer wieder aufzustehen, auch wenn es zum hundertsten Mal ist. Und auch Mut, Hilfe anzunehmen. Wir alle sind auf Hilfe angewiesen und wenn ich mich zurückerinnere, hat es für mich viel Mut gebraucht meine Fassade fallen zu lassen.